Man könnte meinen, die Regel wäre dazu geschaffen worden, um jungen Autoren das Leben schwer zu machen. Im Grunde ist es doch viel einfacher, etwas einfach zu sagen, anstatt es umständlich zu zeigen. Erläutern wir das mal anhand eines Beispieles:
Anna hatte Angst.
Drückt aus, was ausgedrückt werden soll. Anna hat Angst. Aha. Ganz Schlaue fügen dann noch ein Adjektiv hinzu, um das Ganze etwas anschaulicher zu gestalten.
Anna hatte schreckliche Angst.
Merkt ihr, was für Emotionen hier transportiert werden? Ich auch. Nämlich garkeine. Es ist einfach, bequem, aber es geht ganz entschieden an dem vorbei, was eigentlich erreicht werden soll, den Leser emotional mit einzubinden, in zu bewegen. Und von diesem Satz fühlt sich kein Leser emotional mitgerissen. Genau deshalb Show, don't tell. Es lässt alles ganz entschieden plastischer, lebendiger wirken und nur so kann man den Leser effektiv mit in die Geschichte einbinden. Versuchen wir das ganze doch mal nach diesem Grundsatz zu formulieren:
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand, als gäbe es dahinter irgendeinen Weg nach draußen, als könnte sie nur darin verschwinden. Wie lange würde es noch dauern? Sie behielt die Augen krampfhaft auf die Tür gerichtet, wünschte sich sehen zu können, was dahinter war, ob sie schon kamen, oder es einfach nie sehen zu müssen. Ihre Hände tasteten langsam die Wand entlang, rauer, feuchter Stein, fast war sie überrascht, sie überhaupt noch bewegen zu können, ihre Glieder fühlten sich schwer an, wie gelähmt, und alles in ihr schrie danach, einfach nur wegzulaufen, aber wohin? Es gab keinen anderen Ausweg. Langsam, unendlich langsam wurde die Türklinke nach unten gedrückt.
Nun, nicht unbedingt perfekt, das soll es auch nicht sein, es geht nur ums Prinzip. Dass sie Angst hat, dürfte nun jeder verstanden haben, aber vor allem kann es auch jeder nachempfinden. Dabei habe ich das Wort Angst kein einziges Mal erwähnt, ich habe nur beschrieben, wie es ihr geht. Show, don't tell. Der Effekt ist beachtlich. Hier kann sich der Leser gewiss wesentlich besser mit der Protagonistin identifizieren, als zuvor. Der Leser kann mitfühlen und empfindet die Situation selbst auch als spannend, fiebert mit, hat selbst Angst.
Das Prinzip lässt sich nicht nur auf Emotionen anwenden. Charaktere werden beispielsweise häufig beschrieben, obwohl man sie stattdessen treffender handeln lassen und dadurch charaktisieren könnte.
Gregor war ein pingeliger Besserwisser.
Jedes Mal, wenn ich so etwas lese, möchte ich schreien. Ist natürlich einfacher, aber auch weniger effektiv als das:
"Was soll das bitte sein?" Gregor strich mit dem Finger über die Kommode und hielt ihn Marianna vors gesicht. "Alles voller Staub. Das nennst du also geputzt?"
"Ich habe eben erst Staub gewischt, da ist doch garnichts zu sehen. Ist doch alles sauber."
"Mit dem Staubwedel wirbelst du den Staub nur auf und bewegst ihn von einem Fleck zum anderen. Du musst ein richtiges Staubtuch nehmen, das den Staub auch bei sich behält. Und das hier ist bestimmt nicht sauber."
Wiederum alles viel lebendiger, nachvollziehbarer, plastischer. Show, don't tell.
Generell kann man viel mehr zeigen, als man denkt. Auch Beschreibungen lassen sich oft vermeiden und durch diesen Grundsatz in den Text mit einfließen lassen, z.B. indem man den Charakter mit seiner Umgebung interagieren lässt, was Dialoge und Szenen oft auch noch viel lebendiger wirken lässt. Lässt man seine Charaktere während des Gespräches durch den Raum gehen, ein Buch aus dem Regal nehmen, etc., wirkt alles realer, besser als ein stures hin und her des Gesprochenen. Aber auch hier sollte man aufpassen, nicht jeder Charakter inspiziert in einem fremden Raum sofort alle Schubladen.
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